Sanssouci (I)
2005, Skulpturbiennale Münsterland, Borken-Hoxfeld

Wenn alle Räder ruhen

“Sanssouci” - eine Skulptur von Stefan Sous

Aufgezählt und druchbuchstabiert hängen Karosseriebestandteile an transparenten Fäden im Raum. In den Installationen von Stefan Sous werden technische Behälter sorgfältig ausgebreitet. Es können Kutschen sein, oder Boote, Autos oder Fahrstühle die er auseinandernimmt und zur Betrachtung freisetzten. Der Düsseldorfer Bildhauer macht das Wesen jener Technik sichtbar, die seit Generationen modernes Leben bequemer macht. Es sind Gegenstände oder Vehikel, die dem 1964 in Aachen geborenen Künstler seit Kindheitstagen bestens vertraut sind, die er als Erwachsener nun aber mit der neugierigen Distanz eines Fremden seziert. Handrührgeräte und Staubsauger, Trockenhauben, Elektrorasenmäher, aber auch Tischtennisplatten und Operationstische sind es, die er mit der Genauigkeit eines Uhrmachers expandierend im Raum platziert.

Alle diese, in Wirtschaftswunderzeiten neu erfundenen oder redesignten lust- und nutzbringenden Objekte sind praktische Geräte, die Mühe und Zeit sparen, oder sie zumindest vertreiben. Wie von unsichtbarer Hand vollbringen die Standardapparate einer genormten Technikwelt kleine Arbeitswunder. Doch entzaubert Sous sie durch seine chirurgisch präzisen Eingriffe. Aller Markenglauben verfliegt, jeder Technikmythos wird entweiht. Es zeigt sich das seelenlose Innere der Maschinen so profan wie es ist aus Schrauben und massenhaft vorgefertigten Bauteilen. Und doch entfaltet sich zugleich die ganze Fülle verborgene Formschönheit. Die farbigen Teile, geschwungen, geschnitten und für sich jeder bennenbaren Funktion enthoben, führt Sous sie vor, als würden Heiligenreliquien ausgebreitet - unnahbar und mit Bedeutung aufgeladen. Der Künstler verweist auf das Paradies, das versprochen, zugleich aber auch verloren erscheint.

Neben den technischen Objekten, widmet sich der Künstler in anderen plastischen Arbeiten der Magie des Lichtes. Umgekehrt lädt er Gegenstände mit dem Zauber des Lichtes auf und nutzt dessen auratische Verweisfunktion und die dramatische Möglichkeit des Sichtbarmachens. Mit der religiösen Intensität, mit der Maler, Baumeister und Bildhauer seit Gotik und Barock Licht einsetzten, nutzt auch der Zeitgenosse Licht und Dunkelheit, gebündelte Helligkeit, um Vertrautes mit erhebender Bedeutung aufzuladen. 2001 entstand in diesem Sinne ein erstes Projekt, “SCAN”, das, anläßlich der Wiedereröffnung der Alte Nationalgalerie in Berlin zu sehen war und das gesamte Gebäude von August Stüler bei Nacht mit einem breiten Laserstrahl abtastete, so als sei das Museum ein unbekannter Gegenstand, den es erst zu entdecken und neu zu vermessen galt.

Mit einem anderen, nicht weniger spektakulären Projekt, schuf Sous im Düsseldorfer Hofgarten eine Enfilade von Parkbänken aus Leuchtstoffröhren. “UV-A” und “UV-B” strahlen weiß entlang einer repräsentativen Promenade des zentralen Stadtparks. Dem nächtlichen Flaneur bieten sich seit 2002 vierzehn öffentliche Sitzgelegenheiten als willkommene Bühne für den Auftritt im Freien: Jeder Nutzer setzt sich ins rechte, erhebende Rampenlicht.

Wenn Stefan Sous für die Skulptur-Biennale Münsterland im Sommer 2005 nun auf einer Lichtung am Seeufer eine ineinander verzahnte Wagenburg aus fünf ausrangierten Wohnmobilen baut, schafft er einen isolierten Ort, der wie eine Fatamorgana schwebend, irreal und nicht weniger entrückt, wie eine Insel der Glückseeligkeit wirkt. Nicht von ungefähr nennt der Künstler diesen Ort “Sanssouci” – ohne Sorge.

Was dem preußischen König Friedrich II. ab 1745 ein Refugium der Künste, der Poesie, der Philosophie, Dichtung, Malerei und Musik sein sollte, und ihm mit bescheidenen 12 Zimmern am Hang eines Potsdamer Weinbergs mehr als 40 Sommer lang zur Entspannung auf höchstem geistigen Niveau diente, wurde in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts als mobile Wohneinheit für alle beliebt. Nach britischem Vorbild, “My house is my castle” rollten immer mehr Wohnwagen ihrem speziellen Platz an der Sonne entgegen. Für die einen lag er in der freien Natur, für die anderen am Meer, in den Bergen oder am Straßenrand. In jedem Fall rückte die Campinggesellschaft das Paradies von dem sie träumte, vorübergehend vor die eigene Tür. Was sich die aufgeklärte Adelsgesellschaft in ihrem Müßiggang bei erlesenen Speisen und Gesprächen zu wohlklingenden Tönen schon seit Generationen leistete, erschien im Wohnmobil der 1960er Jahre für Jedermann darstellbar.

Neben diesem sozialen Aspekt wirft “Sanssouci” aber vor allem formale Frage auf, die für Sous ebenso zentral erscheinen. Statt Objekte auseinander zu nehmen und ihnen einen Freiraum im eigenen Wirkungsfeld zu verschaffen, bündelte der Künstler diesmal mobile Raumeinheiten und verschränkt sie so miteinander, das sie unauflöslich, wie durch magnetische Kräfte zusammengehalten werden. Sous schnitt die Wohnwagen auf und steckte sie neu zusammen. Nicht, um sie innerlich begehbar und wohnfähig zu machen wie die geräumigen Parzellen des holländischen Ateliers van Lieshout oder die praktisch optimierten Kleinstlebensräume der Kalifornierin Andrea Zittel, sondern um sie als äußerlich kristallines Wesen, wie einen gigantischen Fremdkörper im Freien zu präsentieren.

Entgegen jeder Gebrauchslogik stecken die ausrangierten Wohnwagen in Sous Werk ihre Deichselköpfe zusammen, so als seien es Käfer oder Glühwürmchen. Dazu flackern Bremsleuchten in die Dunkelheit, kleine rote Lichter, die der großen, behäbig verwinkelten und doch zugleich mobilen Skulptur jenen Hauch von Utopie verleihen, den das Nomadenleben im Weltraum-Wirtschaftswunder-Zeitalter mit seinen Fliegenden-Untertassen-Phantasien schon einmal besessen hatte: Sanssouci für alle, in der Ausstattung einer modernen Gartenlaube, zu jeder Zeit und an jedem Ort. In der von Stefan Sous ausgeführten Version wirkt der paradiesische Rückzugsort, den Friedrich II. noch allein den schönen Künsten und einer ausgesuchten Hofgesellschaft vorbehielt, wie die Keimzelle eines eben gelandetes Ufos.

Nach der Dauerreise eines nomadenhaft gelebten Lebens, scheint es seinen Standort nun in einer Welt gefunden zu haben, die ihm das Abheben ebenso verwehrt, wie den futuristisch gestimmten, aber nicht wirklich danach ausgerüsteten Flugobjekten eines Panamarenko. In der Ambivalenz der Skulptur von Stefan Sous, die mit ihren verschleierten Panoramafenstern träumend in alle Himmelsrichtungen schaut, scheint die Erinnerung an Freiheit und Jugend zugleich begraben und beschworen. So hatte schon Friedrich der Große am Rande seiner eben ausgehobenen Gruft bemerkt: “erst, wenn ich da unten bin, werde ich sans souci sein!” Ob Sous diesen vorübergehenden Ort “ohne Sorgen”, also als irdisches Glück oder in ewiger Ruhe beschwört, ob seine Wohnwagen für die Keimzelle einer zukünftigen, oder einer verlorenen Lebensform steht, kann jeder Betrachter am Ende für sich selbst entscheiden.

Katja Blomberg

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